Inhalt Alice 2009. Vorhang auf, Licht an, spielen, spielen, spielen – sich durch Prekariatsscheiße und Selbstvermarktungsmühlen quälen. Stop! Bei allem Respekt vor dem Ausgangsstoff – WO ist der verdammte SCHLÜSSEL zum WUNDERLAND und wie zur Hölle lauten die KROCKETregeln? Wen kümmert‘s, the show must go on! Unbeeindruckt von alledem räkelt sich die Raupe Abend für Abend, werden der Tee warm gehalten und die Karten in jeder Vorstellung neu gemischt.
Rezension „ ... Der Kampf der weißen Kaninchen mit dem Regietheater: In „Eat my Wonderland“, in den Sophiensælen, ist die Metamorphose nicht nur schauspielerische Übung, sondern auch Reflexion des eigenen Berufs. „Überall ist Wunderland“. Dabei begegnet dem mitten hineinversetzten Zuschauer so manch ein alter Bekannter aus den Kindertagen. So zum Beispiel gleich mehrere gehetzte, weiße Kaninchen und verrückte Hutmacher und eine schuh-fetischistische Riesenraupe. Lewis Carrol und seine Figuren aus dem wohl meistinterpretierten Kinderroman von 1865 sind in „Eat my Wonderland“ allgegenwärtig. Nur Alice fehlt. Und natürlich der Sinn. Den kann allerdings selbst Anne Haug in der Rolle der „Regisseurin“ ihren „Sklaven“, den Schauspielern, nicht beibringen und kokst sich stattdessen deprimiert an der Bar zu. Sarkastisch nimmt die echte Regisseurin France-Elena Damian das Klischee des Regietheaters in solchen Szenen auf, das man am Ende des Stücks nach knapp eineinhalb Stunden Paradoxie und Wahnsinn durch eine aufgemalte „fuck regietheater“-Tür verlassen kann. Der Clou des Stückes ist der verschlossene Zuschauerraum am Ende des Foyers. Da der „Regieassistent“ (Felix Müller) vor lauter anfallenden Aufgaben nämlich in der ersten Szene namens „Verspätung der Vorstellung“ keine Zeit mehr hat, das Publikum der Größe nach zu ordnen - in diesem Falle ohne Hilfe von ominösen Pilzen, bleibt er erst mal geschlossen und man ist gegen Ende des Stückes erstaunt, als sich die Pforten zum Wunderland plötzlich tatsächlich öffnen. Darin schwebt die Herzkönigin (Sasha Matteucci) in einem betörenden Kostüm auf Einkaufs- wagenrädern über die Szenerie, während den Zuschauern „anima eingehaucht“ wird und ein Croquet-Spiel der besonderen Art und Weise stattfindet. Köpfe müssen dabei zum Glück allerdings nicht rollen. Ein Zitat des französischen Poststrukturalisten Roland Barthes haben sich die jungen Spieler herausfordernd an die Wand geschrieben: „Der Schauspieler liefert sich dem Dämon des Theaters aus, er opfert sich“, und die sieben Darsteller versuchen, dieser Behauptung gerecht zu werden. Dabei dekonstruieren sie jedoch sogleich ihr eigenes Tun, halten die Töne bewusst simpel, singen falsch und experimentieren mit der Sprache. Vieles wirkt dadurch geradezu dadaistisch und dabei dennoch - oder gerade deswegen - amüsant. Der naiv-psychodelische Charme der Erzählung des kleinen Mädchens, das hinter einem Kaninchenbau eine ganze Welt voller paradoxer Unwahrheiten entdeckt, die die Absurdität unserer eigenen Welt widerspiegeln, wird in „Eat my Wonderland“ aufgenommen und auf die Welt des Schauspiels übertragen. Als Zuschauer fühlt man sich dabei mitunter überspielt - trotz ungezwungenem Mitmachtheater - muss aber letztendlich Barthes dennoch zustimmen, dass einem „so offenkundigen Opfer“ nicht zu widerstehen ist und es einfach „mitreißt“.
[TAZ 9.3.2010]
Regie France-Elena Damian Bühne Nora Johanna Gromer Kostüme Sasha Matteucci Puppenbau Magdalena Schlott I Ivana Sajevic Musik Ivana Sajevic Dramaturgie Georg Mellert Mentor Tom Stromberg Mit Claudia Luise Bose I Anne Haug I Recardo Koppe I Peter Marty I Sasha Matteucci